Zum ersten Experimentalfilm

03.03.15 06:27 PM By ALUNA

Spielplatz 2013-2014

Deutschland 2015 - 72min, Stereo, HD - Experimentalfilm - R/K/M: Erdogan Bulut

Kategorie: Langer Film

„Der Film beschreibt den Zustand unserer Welt, ihre Schönheit in farbintensiven Szenen, die aufbrechenden Vergangenheiten in düsteren Farben, eine Zukunft im Jetzt – als Architektur, als Chance, als Vorschlag entgegengesetzt den Konflikten, den Kriegen, der Vernichtung unserer Welt. Er führt uns durch unsere bedrohte Welt.“ (Erdogan Bulut)   

Der Künstler Erdogan Bulut will uns warnen und uns daran erinnern, wie kostbar und einmalig jedes Leben und unsere Welt sind. “Ich habe kurdische Wurzeln, in einer uralten Sprache, die durch Assimilation verloren geht. Sie ist für mich ein Beispiel, dass wenn alles kaputt ist, - - ist es nicht mehr herstellbar.”, sagt der Künstler und beginnt den Film mit einem Text über kleine und große, innere und äußere Reisen und über die Malerei u.a. auf Englisch, Deutsch und Zaza.


Der Film “Spielplatz beschreibt den Zustand unserer Welt, ihre Schönheit in farbintensiven Szenen, die aufbrechenden Vergangenheiten in düsteren Farben, eine Zukunft im Jetzt - als Architektur, als Chance, als Vorschlag entgegengesetzt den
Konflikten, den Kriegen, der Vernichtung unserer Welt. Er führt uns durch unsere
bedrohte Welt.


Es ist ein ungewöhnlicher Film, der in keine Schublade passt. Auch wenn der Film gemalt und gezeichnet ist, er ist kein Zeichentrickfilm, der Figuren bewegt. Aber alles ist handgemalt und gezeichnet. Wie ein ruhiger Fluss fließen die Szenen (ohne Schnitt),
ineinander verschränkt eröffnen sich Bildräume von seltener Intensität. Eine fesselnde, tiefe Soundcollage kommuniziert kontemplativ mit den Bildebenen. Ausgangspunkt sind Kinder, stellvertretend für alle Kinder auf unserer Welt. Endpunkt ist die Vorstellung und die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens. Dazwischen liegen Welten: Kunsträume ohne Boden, Einsamkeit, Kriminalität,
Faschismus, atomare Katastrophen - sind es vergangene Zeiten, ist es die Jetztzeit oder die Zukunft? Die Sonne ist verkehrt zu einem verkohlten Baum, der schwarze Äste in den Himmel schickt. Und dann wieder Landschaften von betörender Schönheit, nie
gesehene Farben und Formen. Die Erde als grüner Planet. Symbolisch wird sie von einer menschlichen Hand gehalten. Gott ist in uns, oder spielen wir nur einen vermeintlichen Gott, der entscheidet zwischen Leben und Tod und mit der Existenz der
Erde spielt? 

Menschen gezeichnet von harter Arbeit, von Schmerz, von Krieg. Körperhaltungen individuell erfühlt, gefunden, gesehen, diese Momente der Zärtlichkeit und die konträren, verlogenen Machtgesten von Zärtlichkeit, autokratischer Vernichtung von Leben, das Bild des Zuges, der nicht aufzuhalten scheint und ultimative Zerstörung transportiert. Kinder dann als Material. Ein Mann, der eine zarte Frau, die ein Gewand mit Faltenwurf trägt, im Bild anschreit, aber ein Hund bellt. Das Bild der Gruben, die sich mit toten Schädeln füllen oder Löcher, die einreißen, Wasser verschlingend oder Wasser, das einbricht und zerstört. Feuer, das leise lodert, Feuer, das zerstört......
Zart sind die Anklänge an längst vergangene Zeiten, an Mythen der Menschheit als aktuelle Ereignisse ohne Pathos beschrieben, einen Schmerz im Herzen hinterlassend, als würden wir die Welt jetzt im Moment verlieren. Alle Aktualität dieser Malerei,
ihre Kraft, ihr Verständnis von Plastizität, von Raum, von Zeit - basierend auch auf den Errungenschaften von Wissenschaft und Forschung - aber eben auch auf Intuition und genauem Blick, verschmelzen hier zu einem originären künstlerischen Ausdruck und
höchstindividuellen Ausdruck eines Aufschreis für das Leben, der mit Guernica vergleichbar ist.

Getragen von der Konsequenz des gleichmäßigen Fließens zwischen den Zeiten und Räumen, dem Ausgangspunkt der Kinder als aufbrechendes junges Leben, die darin für die Zukunft stehen, ist ein filmisches Kunstwerk entstanden, das sowohl die Malerei in
aller Tiefe reflektiert und ihre Kraft entfaltet als auch die filmischen Mittel zur Blüte treibt.

Dann, wenn die Klänge zur Melodie werden, brechen sie ab, weil sie nicht kaschierenwollen, aber erinnern und wachrufen, sie brechen Gefühle an oder beruhigen sie wieder. Der Film weicht nicht ab von seiner Wahrheitssuche, seinem Hinsehen, er
akzeptiert keine Fluchten und schenkt dafür die Vielfalt und den Facettenreichtum von Wahrhaftigkeit. Sie ist hier ein Erlebnis, das die Sinne umschließt. Mensch, Natur, Architektur, Objekt, Verstand, Gefühl, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind
eins und darin unmittelbar erfahrbar für uns. Irritierend fremd manchmal, doch eigentümlich vertraut. Wir sind Teil des Raum- und Zeitkonzeptes, wir suchen nach abstrakt fassenden Begrifflichkeiten aus Denkräumen, als Teil unseres Raum- und Zeitkonzeptes, als
Mittel beim Begreifen und Beschreiben, doch der Film lotet Raum und Zeit weiter und differenzierter, unterschiedlicher aus, unsere Denkkonzepte sind nicht letztendlicher Schluss, die der Künstler sucht, sie funktionieren nicht als Interpretation. Ein
eigenwilliger Rhythmus entsteht beim Betrachter, getragen von Bildern, Gedanken und Emotionen. Bei jedem Sehen des Films erschließen sich neue Räume, neue Welten, neue Zusammenhänge, ein neuer Rhythmus, obwohl der Film gleichmäßig fließt.

Der Film ist vor den Angriffen des IS entstanden, als hätte der Künstler dies geahnt. Symbolhaft ist der Holocaust hier Sinnbild aller stattfindenden und stattgefundenen Völkermorde, die Verbindung zu den Kindern Sinnbild für die Hilflosigkeit und das
Ausmaß der Ungerechtigkeit der Opfer von Krieg und Unterdrückung, das Köpfen Ausdruck martialischer Gewalt, Hitler Sinnbild des Gewaltherrschers. Der Film hat einen augenfälligen Bezug zu unserer deutschen Kultur, Menschen alleingelassen in ihrer Vereinsamung, die Architektur, sowohl die futuristisch anmutenden Bauten als auch die typisch deutschen Häuser und die Straßenansichten,
sind ebenso einfühlsam beschrieben wie die Erinnerungen an Bombennächte und die in Brand gesetzten Häuser im jetzigen Deutschland. Und da sind Bilder, die eben auch an die Sintflut erinnern könnten, aber deutlich die Umweltzerstörung und den
Klimawandel als menschliches Produkt meinen. 

Die Alternative zu Krieg und Zerstörung, die der Künstler anbietet ist das letzte stillstehende Bild. Der Film kommt zur Ruhe, es herrscht Frieden und Teilhabe. Ein Mann im Rollstuhl spielt Flöte. Kinder spielen. Die Erwachsenen achten die Kinder. Die letzte Szene spielt im Grünen. Es ist eine paradiesische Szene ohne dass Milch und Honig fließen, kein Jungbrunnen ist zu sehen, sondern Freiheit und Frieden. Ein schwesterlicher und brüderlicher Umgang besteht zwischen den Menschen. Es ist ein Bild der Beziehung zum Leben, nicht zur Utopie, aber es wirkt wie eine Utopie. Dieses Paradies könnte jetzt sein. Der Künstler Erdogan Bulut lässt uns teilhaben an seinem Blick auf unsere Welt, an seinem Gefühl für unsere Welt, an seinem empfindsamen Verstehen ihrer Gefährdung. Vieles an diesem Blick lässt in uns Erinnerungen wach werden. Er entlarvt dabei Weltbilder, die zerstören.

Der Künstler Erdogan Bulut lässt uns teilhaben an seinem Blick auf unsere Welt, an seinem Gefühl für unsere Welt, an seinem empfindsamen Verstehen ihrer Gefährdung. Vieles an diesem Blick lässt in uns Erinnerungen wach werden. Er entlarvt dabei Weltbilder, die zerstören. 
 
Text: S. Bieker




ALUNA