Interview
Stingray International Film Festival, Paris, 2024

Projektname : Us still exist - Ma hama esti
von Erdogan Bulut

Wer sind die Menschen, die Ihr Filmemachen beeinflusst haben?
* In meiner Jugend in der Türkei waren das vor allem die Filme von Yilmaz Güney und in den 80er Jahren die Komödien Kemal Sunal. Hinzu kamen rasch die Klassiker des Stumm- und Tonfilms.

Von Meliès und Lumiére ausgehend einmal um den Globus und durch die filmischen Epochen: Realfilm, Trickfilm, Unterhaltungsfilme und NFT + KI generierte Bildwelten. Bis heute schaue ich mir möglichst viele Filme an, zumeist im Internet oder TV, bestelle DVD und kann selten aus Zeitgründen ins Kino gehen – das ist schade. Es gibt viele Regisseure und Filmautoren, die mich mit ihren Werken fesseln und deren Werke ich gerne immer wieder sehe.


Eine besondere Beziehung habe ich zu den Filmen Tarkowskis und Yuri Norsteins, aber auch zur russischen Avangarde, zum neorealistischen Film und zur Novelle Vague. Die jüngeren Talente interessieren mich ebenfalls, auch wenn ich mir nicht immer die Namen merken kann.


Können Sie uns einige amüsante Geschichten oder Begebenheiten erzählen, die während der Entstehung des Projekts passiert sind?
*Da gibt es viele, da wir seit einigen Jahren zu einer Krähen-Familie gehören, die auf uns aufpasst. Nach dem 1. Film „Spielplatz 13-14“ haben wir uns mit Krähen/Raben angefreundet, die Hunger hatten. Wir sind Teil ihres Lebens geworden und besonders werde ich von ihnen beschützt. Aufmerksam haben wir die Situation der Krähen in der Stadt beobachtet. Sie schlafen an lauten Orten inmitten von Abgasen, sie finden oft keine Nahrung – und dennoch überleben sie. Es sind Überlebenskünstler, egal wie krähen-feindlich ihre Umwelt ist. Andere Vögel haben sich, wie viele Tiere, zurückgezogen.


Wir haben seit 2017 die Möglichkeit unsere Familie, die daraus erwachsene Großfamilie und den Schwarm, der sich 1x im Jahr bei uns trifft, zu erleben. Die Tiere verblüffen uns mit ihrem zutiefst sozialem Verhalten, das kleine und große Tiere (wie uns) berücksichtigt. Anders als es von deutschen und amerikanischen Verhaltensforschern angenommen wird, haben sie kein sogenanntes neurotisches oder kämpferisches oder räuberisches oder egomanes oder bauernschlaues, usw. Verhalten, sie „denken“ in anderen Zusammenhängen, größer, weiter, vorausschauender.


Während der Corona - Zeit hielten sie Abstand, dann saß eine der Krähen in sehr schlechten Verfassung wieder vor dem Fenster. Sie hatte keine Kraft mehr zu Klopfen. Aber es war ihr gelungen in dieser für Vögel schwierigen Zeit, Kinder heranzuziehen, denen man keinen Hunger ansah. Sie ist wieder bei Kräften, die Federn glänzen und die Kleinen wachsen und gedeihen. Von diesen beiden wird dann im nächsten Jahre 1 Paar weiterhin zu uns kommen und die anderen werden sich freuen, wenn sie uns sehen. So hoffen wir wenigstens.

Wie die Eltern ihren Kindern beigebracht haben mit einem Schwarm Wespen zu leben, war sehr witzig. Die Kinder wurden sauer, kreischten und hatten die Hoffnung die zahlreichen Wespen auf den locker verstreuten Fleischstückchen mit Schnappen und Attacken zu vertreiben, was die Wespen mit lauten Summ-Angriffen in verdichteter Formation konterten. Die 2 Kinder wurden immer lauter und aggressiver, bis die Eltern mit entschiedener Stimme, ihre Kindern zum Hinsetzen und Still sein zu bewegen. Dann setzte sich der Vater zu den Wespen auf das Fensterbrett und wartete, bis alle Platz gemacht hatten. Er sammelte diesmal nicht alle Stückchen Essen, sondern ließ einige zurück, auf die sich die Wespen stürzten. Fortan herrschte Frieden.


Normalerweise müssen die kleinen Raben das Landen auf unserem Fensterbrett üben, weil es mit Metall beschlagen und glatt ist und nicht so breit. Die Landung, die am erfolgreichsten ist, wird zumeist übernommen von der nächsten Generation: eine kurze Kurve fliegen und seitlich aufsetzen. Eine Krähe wählte den frontalen Anflug und scheiterte, rutschte ab und flatterte mit den Flügeln um nicht in die Tiefe zu stürzen. Das tat die Kleine jeden Tag mit mehren Versuchen über Tage hinweg. Selbst Nachbarn begannen über sie zu lachen. Aber sie ließ nicht locker. Dann gab es eine Überraschung, der Schwarm traf sich. Erst umrundeten einige Familien unser Wohnhaus und vertrieben damit galant die Tauben über dem Eingang aufs Nachbargebäude, scheinbar hatten sie unser Schimpfen über die Ausscheidungen auf der Treppe gehört, dann begannen die Flugkünste. Wir hatten nichts zu Essen hingelegt und trotzdem landeten die Tiere abwechselnd und innovativ. Der Höhepunkt war der Cousin oder die Cousine, er/ sie stürzte Kopfüber und senkrecht vor dem Fenster gen Fensterbank, bremste in der Luft, wendete leicht und landete wie ein Hubschrauber.


Als diese Kleine noch sehr klein gewesen war, legte sie sich mit einer Taube an, kreischte und versuchte sie von ihrem Ast zu vertreiben mit einiger Ausdauer, die Taube nahm weder die Kinderstimme noch den kleinen Körper ernst und blieb stur sitzen, sie schaute nicht mal nach ihr. Ins jugendliche Alter gekommen schrie die Krähe jeden Abend mit einer Stimme, die uns die Sorge bereitete, wir befürchteten, dass sie wohl nie einen Mann finden würde. Ihr Geschwisterchen vertrieb sich derweil die Zeit, wie so viele junge Leute auf dem Parkplatz vor Supermarkt mit Freunden. Sie war alleine und schrie bis es dunkel wurde. Sie hat nicht nur Kinder und einen festen Partner, letzte Woche fand wieder das jährliche Schwarm treffen statt. Die vielen Vögel flogen im Familienverband kleine Runden und setzten sich dann wieder auf die Dächern und Bäume uns gegenüber. Da erklang ihre Stimme: immer noch irgendwie schräg, aber laut und voll mit einem enormen Timbre. Sie schrie 3-4 Mal und jedes mal verabschiedete sich eine Familie und flog davon. Es war fast dunkel bis nach dem letzten Ruf, die letzte Familie in ihr Heim flog. Sie und ihre Kinder warten noch einen Moment und flogen ebenfalls davon. Nicht nur Ihre Stimme ist atemberaubend - sie ruft manchmal mit tiefer Stimme - sie fliegt wie ein Adler und landet von unten nach oben auf dem Fensterbrett.


Die Krähen beschützen mich, sie folgen mir, sie kündigen mich ihren weitläufigen Familienmitgliedern und Freunden an. Ein Mietwagen kann sie in Aufregung versetzen, weil sie Angst haben, ich steige ein, aber nicht wieder aus. Sie folgen dem Auto manchmal bis zu 30 km und da sie die Abkürzung in der Luft nehmen, sind sie meisten schneller als wir, sie sitzen dann bereits auf den Bäumen und begrüßen mich lautstark.

Den Menschen gelingt ein liebevolles Überleben nicht so leicht.



Können Sie eine Herausforderung beschreiben, mit der Sie während der Arbeit an diesem Projekt konfrontiert waren, und wie Sie diese gemeistert haben?
*
Zuerst entsteht der Film als Ganzes in meinem Kopf und ich mache mir ein paar schriftliche Notizen. Da meine Eindrücke des Lebens, das ich sehe, sich mit meinen eigenen Bildern im Kopf verbinden, um die Vergangenheit und die Zukunft der Menschen zu verstehen, bleibt meine Wahrnehmung nicht lange an der flüchtigen Oberfläche haften, sondern registriert diese soweit, wie es zum Verstehen der Situation notwendig ist. Meine Bilder im Kopf sind Verbindungen zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, deren Gewichtung in der Umsetzung dann unterschiedlich ausfällt.


oduktion Neues integriert sein wollte, obwohl der Film im Kopf bereits rund war, bedeutete dies den Film im Kopf neu zu sehen, die neuen Bilder zu integrieren und den Film wieder rund zu bekommen. Dann erst kann ich weiter arbeiten. Geholfen hat mit in diesen Momenten Brot zu backen und zu kochen.


Wie können Sie effektiv mit einem Redakteur zusammenarbeiten, um die endgültige Version Ihres Projekts zu gestalten?
* Der zeitliche Rahmen für die Arbeit müsste gemeinsam festgelegt werden und die Finanzierung dieser Zeit, um in Ruhe zu arbeiten.

An meinem 1. langen Film habe ich fast 2 Jahre gearbeitet, da ich noch viel in den Unterricht eingebunden war. An meinem 2. langen Film habe ich ebenfalls 2 Jahre gearbeitet. Bedingt durch die Ruhe bei Corona und wenig Einbindung in den Unterricht, habe ich für „Ma hama esti“ nur 1 ½ Jahr benötigt. Es ist mir auch gelungen zügig mit neuen Projekten zu beginnen. Letztendlich bestimmt der Film im Kopf die Produktionszeit, die dann mit weiteren beruflichen Einbindungen und Anforderungen abgestimmt werden muss.


Wie hoch war Ihr tatsächliches Budget für die Durchführung dieses Projekts? Wenn Sie mehr Mittel zur Verfügung hätten, wie würden Sie dann vorgehen wollen?

* Das tatsächliche Budget umfasste eine Programm-Erneuerung, die Kosten für die Erstellung hochwertiger Files u.a. in DCP, Dolby, u.a. Die Heizkosten und der Strom sind während der Produktion erstmals teurer geworden, um dann fast unbezahlbar zu werden.
Trotz Aufgabe von Räumen, Einsparungen an Strom und Heizung, kann ich Ihnen die Kosten erst nennen, wenn das Marketing nach nun mehr 2 Jahren in groben Zügen abgeschlossen ist.

Könnten Sie uns bitte sagen, an welchen Projekten Sie als nächstes arbeiten wollen?
* Ja, die begonnen Projekte sind ein langer Film und mehrere kurze Filme. Es fehlen noch die Soundspuren.

* In Planung ist ein Film mit Realfilm-Aufnahmen in meiner Heimat. Noch leben einige der Menschen, die ich gerne filmen möchte, noch finden sich kulturelle Zeugnisse und noch ist die Landschaft atemberaubend schön.



Können Sie uns eine stolze Errungenschaft Ihrer kreativen Reise mitteilen?
* Ich denke, dass es mir gelungen ist, mich nicht beeinflussen zu lassen, und dass es mir stattdessen auch in diesem Film gelungen ist, das Risiko einzugehen Neues zu wagen. Bei meinem 1. Film habe ich noch ein zusätzliches Jahr gewartet, bis ich an die Öffentlichkeit gegangen bin, weil ich selbst überlegen musste.


Ich bin stolz auf diese Risikofreude und auf meine Produktivität und Schaffenskraft.


Was sind die größten Herausforderungen, wenn man heute einen Film macht, und wie kann der Festivalbetrieb helfen, Ihren Traum zu verwirklichen?

*Ich glaube das die phantastischen technischen Möglichkeiten und die Zugänglichkeit von Filmen über das Internet, auch dazu führen können, den Boden unter den Füßen zu verlieren, vielleicht leichter und in jüngeren Jahren als noch vor 20 Jahren.


*Ich halte es für wichtig, sich selbst treu zu bleiben.


*Festivals können auf die Qualität in der Auswahl achten, so dass auch jene jungen Menschen künstlerische Filme kennenlernen können, die zwar Film lieben, aber keine wirklich interessanten Film kennen und sich deshalb schnell in Effekten verlieren.


*Es wäre wünschenswert, wenn Ihre Auswahl für längere Zeit sichtbar bleiben könnte und so die ausgewählten Filme miteinander ein Bild unserer Zeit wiedergeben könnten. Vielleicht kann man eine solche Plattform auch mit den etwas weniger bekannten Klassikern des französischen Films verbinden, da diese in ihrer Fülle nicht wirklich aus dem Ausland zugänglich sind, was schade ist. Und mit Materialien oder Links zu Materialien zu diesen Filmen.


*Wir denken, dass es keinen Sinn macht, sich auf staatliche Unterstützung zu verlassen und, dass Deutschland, ein Land das die EU prägt, durchaus ein Voreiter für ähnliche Zustände in heute noch funktionierenden Ländern der EU sein kann. Hinzu kommt eine unsichere politische Situation und mehr Naturkatastrophen als noch vor 20 Jahren.


Welchen Rat haben Sie für Menschen, die Filmemacher/Autoren werden wollen?
* Bei Zusammenarbeiten auf Seelenverwandtschaft achten
* Nicht in Kategorien denken und schauen, sich nicht den Blick auf die Welt vorgeben lassen.
* Andere Kulturen und Länder ernst nehmen, sich informieren und Material zu diesen Ländern und Kulturen lesen und ansehen, sich mit der jeweiligen Filmgeschichte beschäftigen.
* Nicht zu früh und nicht nur Geld im Kopf haben


Teilen Sie Ihre Erfahrungen und Vorschläge zur Verbesserung des Stingray International Film Festival mit.

*Weiterhin auf Qualität setzen und die schönen Preise und die Ergänzungen, wie dieses Interview, anbieten.




Gedächnisprotokoll: Sonja Bieker, 2024