Kulturelle Identität und die Pflanze des Lebens, 2020

01.12.20 01:02 PM By ALUNA

Künstlerporträt 2020

Aufgewachsen inmitten von inniger Naturverbundenheit und den Fragmenten der
Wandgemälde und den Ikonen verfallener Kirchen und noch sehr viel älteren Zeugnissen der
Geschichte der Menschheit, entwickelte Erdogan Bulut als Kind bereits den intensiven
Wunsch zu malen – inmitten einer Welt, die reich war an Mythologien und literarischen
Geschichten, überliefertem Kunsthandwerk in mannigfaltigen Materialien und neuer und
alter Musik auf traditionellen und neuen Instrumenten.


Es war diese reichhaltige kulturelle Welt, die sich mit ihrer natürlicher Umgebung und deren materieller Beschaffenheit im Einklang befand, die der Künstler als Kind bereits spielerisch erforschte und, die er bis heute nicht aufgeben hat.


Erdogan Bulut arbeitete einige Jahre als gelernter Topograf und Kartograph in der Türkei, bevor er in Deutschland ansässig wurde, um Bildende Kunst zu studieren. Bereits während seines
Studiums repräsentierte er die Hochschule der Bildenden Künste in Frankfurt /M. bei
nationalen Ausstellungen. Er wurde direkt nach seinem Studium mit seinen Gemälden und
Bronze-Skulpturen bekannt.


Seine Kunst entsteht aus einer inneren Notwendigkeit heraus und reagiert sehr sensibel auf
die Welt, das Weltgeschehen, ihre und unsere Veränderungen. Es sind die tiefe Menschlichkeit des Künstlers, seine Weltoffenheit, die, bar jeder Schuldzuweisung oder Diffamierung, seine Werke auszeichnet. Er lässt uns teilhaben an seinen genauen Beobachtungen und nimmt uns mit in die Fülle des Lebens, es ist das Leben selbst, das sich als ein kostbarer Schatz in all seinen Figuren darstellt.


Der Anteil nehmende, manchmal auch erstaunte Blick des Künstlers spiegelt sich in der
Offenheit seiner Werke wieder. Als wolle er alle Grenzen der Malerei und des Seins
aufheben, finden sich Mischwesen zwischen Tieren, Menschen und den Elementen,
enthalten irdische Figurationen kosmische Erweiterungen, beleben, statt begrenzen
grafische Linien und werden zu malerischen Impulsen, ist der Bildrand nur eine Veränderung
materieller Beschaffenheit.

1992 und 2000 entwickelte Erdogan Bulut Wandobjekte als Gemälde. 2013, als sich für den
Künstler die Bedrohung unserer Welt verdichtete, reichten die Leinwände und Bildobjekte
nicht mehr, um die Flut an Bildern festzuhalten. Erdogan Bulut arbeitete bis tief in die Nacht
ca. 1 ½ Jahre lang an dem Film „Spielplatz / playground 2013 -14“ - ohne Unterbrechung.


Der Film ist auch ein opulentes Werk über die Kraft der Malerei und den Film als Medium geworden, ein Filmkunstwerk, kurzweilig und intensiv, ohne Bildschnitt und mit einer tiefen
Soundcollage. Vielleicht eine künstlerisch intensive Antwort auf unsere Zeit, in welcher
Bilder in veränderter Weise, erneut und schneller „laufen lernen“.


Erdogan Bulut hat einen eigenen unverwechselbaren künstlerischen Kosmos entwickelt, der
sich kontinuierlich erneuert und erweitert. 


Die Leichtigkeit, mit der seine Kunst gleich nach dem Studium die von internationalen Vergleichen geprägte Kunstwelt der aktuellen Kunst erobert hat und immer wieder aufs Neue interessiert, entspringt nicht allein seiner Auseinandersetzung mit der Kunst und der Kunstgeschichte, sie entspringt auch seinem eigenem Leben in seiner neuen Heimat

Deutschland ohne die Wurzeln in seiner Heimat Türkei vergessen zu haben. 


Es gehört sehr viel
emotionale Kraft und Anteilnahme am deutschen Leben dazu, „unauflösbare Gegensätze
stehen zu lassen“, wie Stephan Berg vom Bonner Kunstmuseum Erdogan Buluts Malerei
beschreibt, und aktiv Verbindendes stets neu zu suchen, um die neue und die alte Heimat
nicht in oberflächlichen Momenten von Harmonie oder vorschneller Distanzierung als
„fremd“ zu vernebeln, sondern seine Kunst, die sein neues Umfeld künstlerisch aufnimmt,
zu seinem ureigensten Zuhause zu machen.

Die Fragen, warum Erdogan Buluts Kunst international in hohem Maße verständlich ist wie
gerade die aktuellen Reaktionen neu angekommener junger Menschen aus afrikanischen,
asiatischen und arabischen Ländern eindrucksvoll zeigten, ist nicht allein in der Kommunikaton
mittels Bildern begründet. Es ist auch die Energie, die seine Kunst zu geben
vermag, sie ist international verständlich.


Seine Kunst vermittelt die „Pflanze des ewigen Lebens“ seines ursprünglichen Kulturraums als eine
neue und alte Erzählung über die Bedeutung von Identität und Lebensenergie.


Jedes seiner Gemälde, jedes Kunstobjekt und jeder Film rettet die aktuellen und tradierten Bilder und 

Erzählungen seiner Heimaten und „die Erinnerungen, die ihre Menschen in sich tragen“, wie
der Künstler sagt, vor dem Verschwinden für und in die Aktualität unserer heutigen Zeit.

Erdogan Buluts Werke bewahren darin das überraschend lebendige und mitfühlende und
auch das Herz zerreißende Erbe der Menschheit. 


Es sind Bildwelten, die keine Anstrengung
von uns Betrachtenden einfordern, sondern umgekehrt, die uns verstehen.


Künstlerporträt für die japanisch-deutsche Freundschaft in Fukoshima

S. Bieker Galerie k9 aktuelle Kunst, 2020

ALUNA